Feierten „70 Jahre AWO in Paderborn“ (v.l.): Landrat Manfred Müller, Marita Neumann (stellvertr. Kreisvorsitzende), Kreisgeschäftsführerin Ulla Hoentgesberg, Kreisvorsitzende Mechtild Rothe, Christian Nolden ((stellvertr.Kreisvorsitzender), Bürgermeister Michael Dreier und Gastredner Prof. Michael Hartmann.
70 Jahre AWO in Paderborn – Maßgeblicher Bestandteil des Sozialwesens
„70 Jahre AWO, das sind 70 Jahre unermüdliche Arbeit für eine menschlichere Gesellschaft“, erklärte Bürgermeister Michael Dreier auf dem festlichen Empfang zum 70-jährigen Jubiläum der AWO in Paderborn. Gerne habe er dafür „die gute Stube der Stadt“ zur Verfügung gestellt. Mehr als 200 Gäste aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Schulen sowie zahlreiche AWO-Mitarbeiter waren in das Paderborner Rathaus gekommen. Für ein ebenso anspruchsvolles wie unterhaltsames Programm sorgten nicht nur der renommierte Soziologe Prof. Michael Hartmann, sondern auch das Paderborner Musikensemble „Thauern & Trio“ sowie Schulkinder aus den AWO-Schulbetreuungen in Sande und Wewer.
„Die AWO ist eine wichtige Stütze des Sozialwesens in Paderborn“, so Dreier. Die Stadt arbeite mit der AWO in vielen Bereichen eng zusammen, unter anderem im Mehrgenerationenhaus, in Schulen, in der Jugendhilfe oder beim Jugendcafé InScene. „Ich freue mich, dass wir dabei eine sehr vertrauensvolle Partnerschaft, ja sogar Freundschaft pflegen.“ Dreier bedankte sich bei den haupt- und ehrenamtlichen AWO-Mitarbeitern für das große und vielfältige Engagement.
„Im Kreis Paderborn ist die AWO ein maßgeblicher Bestandteil der sozialen Landschaft“, sagte Landrat Müller und bedankte sich für 70 Jahre Dienst am Menschen. „Ihre Arbeit der letzten 70 Jahre hat in Stadt und Land Spuren hinterlassen.“ Menschliche Würde sei nicht nach wirtschaftlichen Kriterien interpretierbar. „Sie leben diese Erkenntnis, die Nähe und Liebe zu den Menschen, egal woher diese kommen.“
In ihrer Begrüßung ließ die Kreisvorsitzende Mechtild Rothe „sieben Jahrzehnte des Einsatzes für Mitmenschlichkeit und Solidarität“ Revue passieren. Genau genommen sei die AWO mündlichen Überlieferungen zufolge schon 1920 in Paderborn aktiv geworden – kurz nachdem sie 1919 von der sozialdemokratischen Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung Marie Juchacz gegründet worden war. Nach der Zerschlagung durch die Nationalsozialisten 1933, wurde die AWO 1946 auch in Paderborn wiedergegründet. Gleichzeitig begannen erste AWO-Aktivitäten in Büren, Schloß Neuhaus, Salzkotten und Bad Lippspringe. Diese unmittelbare Nachkriegszeit war von der materiellen und seelischen Not der Bevölkerung geprägt. Die damals noch ausschließlich ehrenamtlich getragene AWO half mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Erst 1958 wurde mit Maria Seefeld die erste hauptamtliche Mitarbeiterin eingestellt. 1970 vereinte der Paderborner Ortsvereinsvorsitzende Karl Nolden dann die einzelnen Ortsvereine des Kreises zu einem AWO-Kreisverband, dem er bis 1996 vorstand. Unter dem Dach des neuen Kreisverbandes wurden nach und nach immer mehr Einrichtungen mit hauptamtlichen Mitarbeitern gegründet und neue Tätigkeitsfelder erschlossen. 1984 übernahm Harald Ehlers die Kreisgeschäftsführung und 1996 wurde Günter Bitterberg Vorsitzender des Kreisverbandes. „Heute ist die AWO in Paderborn ein anerkannter sozialer Dienstleister mit 180 Mitarbeitern und 400 Mitgliedern“, resümierte Rothe. „Haupt und Ehrenamt Hand in Hand – dieses AWO-Motto gilt es auch in Zukunft umzusetzen.“
Mit der wachsenden Kluft in der Gesellschaft beschäftigte sich anschließend Prof. Michael Hartmann in seinem Vortrag „Arm und Reich in Deutschland“. Der gebürtige Paderborner erklärte, dass die Informationen in der öffentlichen Diskussion oft verwirrend seien und relativierte einige der häufig genannten Zahlen mit verblüffenden Fakten. So gebe es in Deutschland eine deutlich höhere Anzahl von Milliardären, als in vergleichbaren Ländern. „Das hat viel mit Politik zu tun“, so Hartmann. „Deutschland macht eine Politik zu Gunsten der Wohlhabenden und Reichen. Wer viel hat, muss weniger Steuern zahlen, Sozialleistungen dagegen werden geschrumpft.“ Seit 2005 habe sich die Schere kaum noch gespreizt, aktuell gehe sie aber wieder weiter auseinander. Eine politische Konsequenz aus dieser Situation sei offensichtlich: „Die, die sich in dieser Gesellschaft abgehängt oder nicht vertreten fühlen, gehen eher nicht wählen.“ Jetzt aber drohe eine Zuspitzung des Problems, denn eben diese Menschen seien ein wichtiger Grund für den AFD-Erfolg. „Wenn wir nicht aufpassen, wird sich der rechte Rand verfestigen“, schloss er. „Diese Entwicklung lässt sich nur aufhalten, wenn sich an der ungerechten Verteilung der Einkommen und Vermögen etwas ändert.“
Das bekräftigte auch Mechtild Rothe in ihrem Schlusswort. „Wir sind seit 70 Jahren für Menschen da, die Hilfe brauchen. Doch die Wohlfahrtsverbände können nicht alle Probleme lösen. Hier ist die Politik gefragt.“